A British girl is all grown up

Konzert-Kritik: Lily Allen im Komplex 457
Bildquelle: 
Bäckstage

Text von Thomas Hügli

 

Golden glitzernde lange Hosen, ein rotes Top aus wenig Stoff und darunter eine kleine Bluse, die gerade noch knapp über den Busen reicht und ein Fan im Bühnengraben, der sogleich zum Nippelblitzeraufpasser rekrutiert wird. Die Haare fast fluoreszierend weiss, nach hinten gesteckt, schulterlang und die Stirn freigebend, auf der sich immer wieder sorgenvolle oder eher leidenschaftliche Runzeln formen. Lily Allen on stage im Komplex, beim ersten Konzert einer längeren Europatournee und dem ersten Gig überhaupt in der Deutschschweiz. Ihre beiden Töchter hat sie zu Hause gelassen, bei der Schwiegermutter ihres Ex-Mannes. Ja, Lily ist geschieden und sie scheint es zu geniessen. Zeit hat sie sich gelassen, bis sie endlich auf die Bühne kommt. Rufe aus dem Publikum wie, «why are we waiting? It’s so boring and suffercating», haben sie wohl doch hervorgelockt. Schliesslich ist sie guter Laune und will ihr Publikum in guter Stimmung wissen.

 

Fotos: © Bäckstage.ch

 

Sie zögert nicht lange und präsentiert Titel ihrer neuen LP «No Shame». Und die haben es in sich, genauso authentisch wie sie selbst, abwechslungsreich und mit durchdringendem Bass. «What you waiting for» wird wohl noch vielen in den Ohren hängen bleiben. Ihre Band, ein Bassist und Gitarrist, ein Keyboarder und sonst nichts. Es braucht nicht viel, um elektronischen Pop auf die Bühne zu bringen, aber ohne Lily’s unverwechselbare Stimme ist alles andere unbedeutend. Vier grosse Säulen mit unterschiedlicher Beleuchtung hat die Band selbst mitgebracht. Kein Wunder steht vor dem Komplex ein riesiger Lastwagen mit britischem Kennzeichen. Das erzeugt Stimmung, die mit Nebelmaschinen noch verstärkt wird. Balladen wie «My One» und ihre sanfte, fröhliche Melodie passen bestens in dieses Ambiente.

 

Lily Allen ist einer dieser Künstlerinnen, die nicht zu sehr auffällig ist und von der aber doch immer wieder Hits im Radio landen, wohl am bekanntesten «Fuck you» oder «Smile». Die Popkünstlerin ist vielseitig, so vielseitig wie ihre Falsett-Stimme. Ihre Musik ist abwechslungsreich, geht mit der Zeit, punky, electronica, new wave, broken base, crime, broken beats, soulfou, wie sie es selbst nennt, kaum zuzuordnen und meist fröhlich und gelassen wie ihr Song «LDN». Lily hat schon viele Höhen und Tiefen erlebt und macht kein Geheimnis daraus. Ihre Lyrics spiegeln oft ihr eigenes Empfinden wieder, sind witzig und intelligent, traurig und bedrückend zugleich. Ihre Balladen treiben die Sehnsucht an und wässern die Augen. Ihr neues Album «No shame» ist ein Spiegel dieser Vielseitigkeit und birgt mit jedem Song eine Überraschung. Irgendwie immer wieder Lily und doch so verschieden. Die Feinheiten ihrer gefühlvollen und bezaubernden Stimme sind unergründlich und berühren den hintersten Winkel deiner Seele. 

 

Lily Allen hat bei der Premiere in der Deutschschweiz gezeigt, wie vielseitig sie sein kann. Sie ist Sängerin aus Passion. 

 

Bäckstage Redaktion / Sa, 08. Dez 2018